Dabei geht es nicht um die Störung als Provokation oder als Irritation, nur um zu irritieren. Es ist mehr so, dass die Malerin sich schon seit ihren Akademiezeiten für Alternativen zu den eigenen Bildern interessiert. Konsequenz versteht sie gerade nicht als Suche nach dem vollkommenen Bild. Es geht ihr nicht um die einzelnen Werke allein, sondern ebenso sehr um die Spielräume zwischen ihnen. Das Problem ist nicht das Bild, sondern die Bequemlichkeit unseres Vertrauens in das geschaffene künstlerische Objekt, oder mehr noch um die Tendenz der Bilder, ständig unser bewunderndes, sozusagen blindes Vertrauen zu provozieren. Es geht um die fragwürdige Selbstsicherheit der Gemälde, die doch mit einem Strich mehr Gelb hier, einer Ausdünnung des Oberflächenauftrags dort oder der Andeutung einer Figur mitten auf einer abstrakten Fläche in ihr Gegenteil umschlagen können. Es geht um die Illusion der Vollkommenheit, der Clara Gesang-Gottowt zutiefst misstraut, weil sie auch malerische Prozesse für umkehrbar hält.
Es ist in ihrem Werk deshalb so, als enthalte jedes Werk Spuren seines eigenen Gegenbildes in sich. Ja, es scheint, als betrachte die Malerin jedes geglückte Bild als Aufforderung, sogleich das genaue Gegenteil der gerade erarbeiteten Rezeptur zu erproben. Es ist, als sei die Malerin darüber amüsiert, dass wir nach der Hinzufügung einer goldgelben Farbschliere rund um eine winzige kopfförmige schwarze Knolle mitten auf einer abstrakten Fläche ein Streichholz assoziieren und den in gleichförmig dahingewischten Kreisen angelegten Bildhintergrund mit seinem abgedunkelten Kreis in der oberen Bildhälfte nicht mehr „Abstraktion“, sondern womöglich „Kerze“ nennen, die Umwidmung der Geste also willfährig zur Kenntnis nehmen, weil wir den Verabredungen, die ein Bild ausmachen, zutiefst vertrauen. Weil wir den Bildern gern vertrauen wollen. Weil uns doppelbödige Bilder verunsichern und wir selbst gegen besseres Wissen ein Bild für ein Bild zu halten wünschen, entschlüsselbar wie eine Schatzkarte.
Und so malt Clara Gesang-Gottowt, bis ihre Handlungsmöglichkeiten sich von selbst beschränken. Sie spielt Schach mit dem Bild, bis kein Zug mehr offen ist und hält dabei Fehler, Störungen, Abweichungen, Kontrollverluste für respektable Spielzüge der Gegenseite, ohne welche die Malerei so wenig sinnvoll wäre wie eine einfarbige Schachpartie. Malerei wird so zu einem Pakt mit der Unsicherheit und gegen unsere Vergötterung der Bilder. Malerei soll eine Gratwanderung zwischen Beherrschbarkeit und Unbeherrschbarkeit bleiben, findet die Malerin, und je fühlbarer ein Bild daran erinnert, dass es anders sein könnte, je weniger stereotyp wir Kunst als geschlossenes Objekt verstehen, desto offener ist der Prozess für den Empfänger, desto sinnvoller erscheint der Malerin die Malerei.